An der rechten Wand steht eine braune Ledercouch, davor ein niedriger Holztisch mit kleinen Papierstapeln. Von den Fenstern herab hängen lange, bis zum Boden reichende Vorhänge in dunklem Rapport. Auf der linken Seite sind mit Büchern bestückte Regale in die Wand eingelassen. Dazwischen ein Kamin – eingefasst in Holz, umrandet von roten Kacheln – in dem ein Feuer vor sich hin flackert. Die alten Holzdielen bedeckt ein Teppich in rot-grau floralem Muster. Im übrigen Raum verteilen sich Sessel, kleinere Schränke und Tische, die als Ablagefläche verschiedenster Gegenstände dienen. Ein ganz gewöhnliches Wohn- und Arbeitszimmer …
Ein ganz gewöhnliches Wohn- und Arbeitszimmer? Und überhaupt: Wessen Wohn- und Arbeitszimmer? Wir sind in London, in der 221B Baker Street, im Jahr 2010. Das Zimmer ist der Lebensmittelpunkt von Sherlock. Sherlock Holmes. DER Sherlock Holmes. Nicht in den Büchern von Sir Arthur Conan Doyle, sondern in der ersten Folge der erfolgreichen BBC- Fernsehserie „Sherlock“. In diesem Zimmer ruht er sich aus, hier sinniert er, denkt nach, und kombiniert die Fakten. Hier trinkt er Tee und berät sich mit seinem Assistenten Dr. Watson. Es ist bescheiden eingerichtet, keineswegs pompös, aber dennoch ungewöhnlich …
Quelle: HartswoodfilmsWas auffällt? Zwei Dinge: die Abwesenheit eines TV-Gerätes und die Wände. Nun, einer wie Sherlock Holmes braucht keine Unterhaltung, die beschert ihm sein Alltag zur Genüge. Sein zum Beruf gewordenes Leben bietet ihm ausreichend Erlebnisse.
Und die Wandgestaltung? Was soll sie dem Zuschauer über die Psyche eines Raumes, einer Filmfigur, eines Charakters unterbewusst vermitteln? Erst die dunkelbraun gemusterte Tapete mit großen floralen Barockornamenten auf hellem Hintergrund verleiht dem Raum eine markante, aber dennoch dezente Eleganz – ein zeitgenössisches Muster mit historischen Referenzen. Organische Blätter- und Blütenformen, einfarbig und sehr reduziert, ranken sich die Wand entlang nach oben. Sie funktionieren gleichermaßen als Positiv und Negativ. Wie auch Sherlock: engagierter Aufklärer und narzisstischer Egozentriker zugleich.
Quelle: HartswoodfilmsIm Film erscheint der Raum oft in Abend- und Nachtszenen, gehüllt in gedimmtes Licht, das Ruhe und Gemütlichkeit ausstrahlt. Die vielen Holzmöbel und dunklen Objekte reflektieren zudem kaum natürlich Licht, was ihn auch tagsüber recht dunkel wirken lässt. Die Tapete fügt sich dabei in das Ensemble aller übrigen Raumelemente: Sie ist nicht aufdringlich, aber sie fällt auf. Das Unscheinbare wird zum Selbstverständlichen. Aber: eine andere Tapete erzählt auch eine andere Geschichte, versetzt einen in eine andere Zeit und eine andere Stimmung. Diese hier ist ganz nach Sherlocks Geschmack.
Text: szim