Die Kennedy-Tapete

Hier treffen gleich zwei Superlative aufeinander: Ein zentraler Ort, an dem Weltpolitik gemacht und Geschichte geschrieben wird, und ein Unternehmen von Welt, das die Geschichte des Landes in Bildern erzählt und sich damit selbst ein Denkmal setzt. Die Rede ist vom Weißen Haus und der französischen Tapetenmanufaktur Zuber. Im sogenannten Diplomatic Reception Room, dem Empfangsraum des Weißen Hauses, begegnen sich die Traditionen beider Institutionen.

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Dabei erzählen – im wortwörtlichen Sinne – nicht nur die Wände des Saales die heroisierende Geschichte von der Eroberung der "Neuen Welt", allein die Nutzung des Raumes hat seine ganz eigene Story: vom einfachen Heizungskeller hin zum noblen Empfangsraum der Präsidentenresidenz für internationale Gäste, Diplomaten und Politiker aus aller Welt.

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Historisch auch die Frau, die ihm zu seinem heutigen Look verhalf: Jacqueline Lee Bouvier, besser bekannt als Jackie Kennedy, die Ehefrau des 35. US-Präsidenten John F. Kennedy. Mit ihrem Einzug ins Weiße Haus 1961 nahm die First Lady auch eine vollständige Renovierung und Umgestaltung der Inneneinrichtung vor. Die Truman-Ausstattung war aus ihrer Sicht zu gewöhnlich und wurde der erhabenen Bedeutung des Gebäudes nicht ganz gerecht. Diese bestand damals vor allem aus historischen Nachbauten und zeitgenössischen Mustern und Stoffen. Als eine Kennerin und Förderin der schönen Künste wollte Jackie Kennedy dies ändern.

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"Vues d'Amérique Nord" – die Ansichten Nordamerikas – lautet die offizielle Bezeichnung des von ihr, auf Empfehlung eines Historikers, ausgewählten Tapetenmotivs für den Empfangsraum. Es zeigt monumentale Panoramen, die wie Reiseberichte Zeugnis ablegen von der Schönheit der Landschaft und den kulturellen Errungenschaften der Menschen, die sie formten und bewohnten. Das auf Stichen aus den 1820er Jahren beruhende Panorama umfasst insgesamt 32 Szenen, darunter vertreten die Natural Bridge von Virginia, die Niagarafälle, die Bucht von New York oder den Bostoner Hafen. In seinem Pomp wirkt es jedoch vielmehr wie das ausschweifende Gemälde eines Landschaftsmalers als eine Tapete. Denn das für Tapeten so typische Muster sucht man vergeblich.

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Bevor sie 1961 ins Weiße Haus gelangte, schmückte die 1834 im Hause Zuber entworfene Tapete die Wände des Jones House in Maryland. Dieses musste jedoch im selben Jahr einem Lebensmittelgeschäft weichen. Doch konnte noch vor seinem Abriss die darin befindliche Tapete gerettet und ans Weiße Haus verkauft werden.

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Zuber – dieser Name steht nicht nur für eine berühmte und historische Tapetenfabrik aus dem Elsass, sondern auch für die letzte ihrer Art. Denn nirgendwo sonst wird die Tapetenherstellung noch auf so traditionelle Weise vollzogen wie dort. Wie einst 1797, als die Fabrik gegründet wurde, werden auch heute noch im Firmensitz in Rixheim die Tapeten- und Textilienmuster aus Holzblöcken hergestellt. Zuber & Cie, so der vollständige Firmenname, verfügt darüber hinaus über ein Archiv aus über 100.000 in Holz eingravierter Muster aus dem 18. und 19. Jahrhundert – historische Dokumente, die heute unter Denkmalschutz stehen.

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Es gibt nicht viel, das Bestand hat in der Welt. Alles verändert sich immerzu. Was wird wohl in 200 Jahren von unseren heutigen Produktionsmethoden noch übrig sein? Werden wir überhaupt noch Oberflächen gestalten und bekleben oder werden wir zukünftig vielleicht nur noch von digitalen und virtuellen Räumen und Wänden umgeben sein? Zuber jedenfalls konnte sich und seine Herstellungsmethoden entgegen allen Fortschritts seit mehr als 200 Jahren behaupten. Und auch das Weiße Haus hat sich seit seiner Grundsteinlegung im Jahr 1792 durchaus widerstandsfähig gezeigt. Dafür werden mit Sicherheit auch bald seine neuen Bewohner sorgen. Manches ändert sich eben nie.

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Text: szim

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