Hinter den Kulissen von „Das Damengambit“: Die Set-Designerin der beliebten Netflix-Serie verrät, wie die kultigen Tapeten ausgewählt wurden

Die fesselnde Serie „Das Damengambit“, die Beth Harmons faszinierende Lebensgeschichte und ihre packenden Schachwettkämpfe verfolgte und diese durch eine Reihe Sets mit einzigartigen Tapeten repräsentierte, hat die Welt im Sturm erobert. Da wir die Ehre hatten, einige dieser Tapeten selbst zur Verfügung zu stellen, konnten wir einfach nicht widerstehen, uns mit Sabine Schaaf, der visionären Szenenbildnerin der Serie, zusammenzusetzen und zu plaudern. In diesem exklusiven Interview erfahren Sie mehr über den kreativen Prozess, der die unvergessliche visuelle Ästhetik der Serie zum Leben erweckt hat.

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Können Sie uns einen Einblick in Ihre Rolle als Szenenbildnerin bei der Produktion von „Das Damengambit“ geben?

Meine offizielle Berufsbezeichnung lautet „Set Decorator“ und meine Hauptaufgabe ist es, mich um alles zu kümmern, was mit der Ausstattung der Sets zu tun hat. Das bedeutet im wahrsten Sinne des Wortes alles - von der Tapete bis zu Möbeln, Lampen, Teppichen, Vorhängen sowie Dekorationsobjekten wie Bildern, Pflanzen und Regalen. Sie müssen wissen, dass die meisten Räume, in denen wir gedreht haben, zunächst komplett leer waren. Alles, was Sie auf dem Bildschirm sehen, musste von uns an den Drehort gebracht, installiert und eingerichtet werden. Nach den Dreharbeiten müssen wir alles wieder abbauen, einpacken und zu dem Requisitenverleih zurückbringen, wo wir den Großteil der verwendeten Möbel und Deko-Artikel beziehen. Stellen Sie sich das wie einen sehr großen Umzug vor, der ständig wiederholt werden muss. Unser Produktionsdesigner Uli Hanisch zieht es vor, an realen Schauplätzen, anstatt in einem Studio zu drehen. In „Das Damengambit“ ist zum Beispiel das Waisenhaus, das Sie in der ersten Folge sehen, in Wirklichkeit eine leere alte Villa in einem Berliner Vorort. Der Keller, in dem Herr Shaibel, der Hausmeister, Beth das Schachspielen beibringt, gehört zu einem Regierungsgebäude im Berliner Bezirk Neukölln.

Was sind die wichtigsten Überlegungen bei der Gestaltung der Sets? Wie halten Sie bei den Kulissen die Balance zwischen historischer Genauigkeit und kreativer Freiheit?

Ausgangspunkt ist naturgemäß immer das Drehbuch. Die darin erzählte Geschichte erzeugt in meinem Kopf bestimmte räumliche Bilder, die ich dann zusammen mit meinem Produktionsdesigner entwickle, indem wir die Herausforderungen und Erfordernisse des Projekts skizzieren. Bei „Das Damengambit“ war ein Schlüsselfaktor die visuelle Differenzierung von wiederkehrenden Motiven (Flugzeug - Hotelzimmer - Schachturnier) in den verschiedenen Ländern, die Beth im Laufe ihrer Karriere besucht. Wir wollten sie in Bezug auf Farben, Formen und Ausstattung so weit wie möglich voneinander abgrenzen. Gleichzeitig haben wir darauf geachtet, dass es auch verbindende Elemente gibt, wie z. B. die Gemälde in allen Hotelzimmern, auf denen ausschließlich Frauen abgebildet sind, so als ob sie Beth in der ansonsten von Männern dominierten Welt des Schachs unterstützen würden.
Wenn es um historische Richtigkeit geht, zitiere ich gerne das Sprichwort „Man muss die Regeln kennen, um sie zu brechen“. Ich arbeite oft mit kleineren historischen Ungenauigkeiten, weil sie das Bühnenbild abrunden oder manchmal auch ein wenig stören. Denn alles ist erlaubt. Ich glaube, unser Geheimnis (das jetzt kein Geheimnis mehr ist) besteht darin, den allgemeinen Sehgewohnheiten entgegenzuwirken. Wir verwenden das Wort „geschmackvoll“ eher mit einem etwas verächtlichen Unterton, denn das wollen wir ausdrücklich nicht sein. Wir wollen die Zuschauer ein wenig irritieren und sie an die Hand nehmen, wenn sie über unsere „geschmackvollen“ Irritationen stolpern. Es macht verdammt viel Spaß, sich ohne die Grenzen des Geschmacks austoben zu können!

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© Netflix

Tapeten spielen eine sehr dominante Rolle bei der Inszenierung von Beths Leben und Karriere. War es von Anfang an klar, dass Sie sie als erzählerisches Element so ausgiebig nutzen würden, oder hat sich die Entscheidung im Laufe der Zeit ergeben?

Nein, das war anfangs überhaupt nicht klar. Wir sind zunächst so an die Dreharbeiten herangegangen, wie wir es immer tun. Wir haben aber bald gemerkt, dass Tapeten für die Hotelzimmer und für viele andere Sets eine großartige Lösung gewesen wären, so dass sie nach und nach immer mehr in den Vordergrund gerückt sind. Bei der Bemusterung der Tapeten für das „Elternhaus“ von Beth in Lexington sind wir dann schon ein bisschen durchgedreht. Wir haben eine Reihe historischer Tapeten aus einem Geschäft in Köln gekauft, das es mittlerweile leider nicht mehr gibt. Das Modell in Beths Schlafzimmer ist modern, während wir das Schachbrettmuster als Hommage für ihre Karriere ausgewählt haben. Im Elternhaus haben wir bewusst Blumentapeten verwendet, da wir den verspielten, romantischen Charakter von Beths Adoptivmutter darstellen und gleichzeitig einen Kontrast zu ihrem alles andere als harmonischen Familienleben schaffen wollten. Es hat sehr viel Spaß gemacht, immer wieder neue Modelle zu suchen und zu finden, und so ist der exzessive Tapetenwahnsinn entstanden!

Welche Faktoren beeinflussen die Wahl der Tapeten für die verschiedenen Schauplätze der Serie, z. B. die Authentizität der Epoche, die Persönlichkeit der Figuren oder thematische Elemente?

In der Regel sollte jede Tapete zu der Ära passen, die wir darstellen wollen. Natürlich kann eine Tapete auch schon älter sein, da sie vielleicht schon lange an der Wand hängt, aber wir lassen einige Ausnahmen zu. In der Wohnung von Eileen und Barbara, in der Beth am Morgen nach der Party aufräumt, haben wir zum Beispiel ganz bewusst eine Tapete gewählt, die sehr an das Design der 70er Jahre erinnerte. Sie passte zwar nicht ganz zu der Ära, aber wir fanden sie so passend für die Szene, dass wir uns die Freiheit genommen haben. Unser Farbkonzept und die Wahl der Tapeten und Möbel gaben jedem Drehort im Film einen eigenen Look. Mexiko zum Beispiel war farbenfroh und blumig, Moskau sehr streng, geometrisch und ohne bunte Farben usw.

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© Netflix

Gab es bestimmte Tapetenmaterialien oder Oberflächenstrukturen, die Ihrer Meinung nach die gewünschte Ästhetik besonders gut zum Ausdruck brachten?

Interessante grafische, kontrastreiche Muster sind unsere Favoriten. Wir lieben Materialien, die unsere Kulissenmaler weiterbearbeiten können, indem sie sie beispielsweise mit einer Lösung aus Wasser und Leim überziehen, so dass die Oberfläche dann Risse bekommt.

Können Sie uns die nötige Logistik bei der Integration von Tapeten in die Sets erläutern? Wie haben Sie sichergestellt, dass sie das Gesamtdesign ergänzen?

Wir gehen auf ganz unterschiedliche Weise an jedes Set heran: Manchmal gibt es ein Thema, ein Schlagwort oder ein Motto, manchmal weckt ein einzelnes Möbelstück oder eine Leuchte mein Interesse und wir beschließen, sie als Leitfaden für das Set zu verwenden. Manchmal ist es auch eine Tapete, die uns als erste Design-Idee dient, wie bei den Las Vegas-Sets in „Das Damengambit“, wo sich das Rautenmuster über dem Bett im Hotelzimmer bei der Entwicklung des Sets als Schlüsselelement herauskristallisierte.

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© Netflix

Könnten Sie den Prozess der Verwendung von Tapeten am Set näher erläutern, zum Beispiel die Techniken und Überlegungen, die damit verbunden sind?

Die Tapeten müssen schon recht früh vor Ort angebracht werden, da sie häufig auch mehrfach überstrichen werden, oft mit verschiedenfarbigen Lasuren. Durch die Lasuren erhalten sie Patina und eine räumliche Tiefe, die sie alt erscheinen lässt. Das ist für historische Serien und Filme extrem wichtig. Wenn wir ein ärmeres Ambiente darstellen, wird die Tapete erst angebracht und dann teilweise abgerissen oder „repariert“. Manchmal müssen wir die Tapetenfarben durch verschiedene Lasuren verändern, weil die Wand sonst zu hell ist, und es kann passieren, dass aus einem rosa Pfauenmuster plötzlich ein dunkelgrünes wird. Wir ziehen es vor, mit dunkleren Oberflächen zu arbeiten, damit der Fokus auf den Schauspielern bleibt und die Kamera größere Kontraste und eine dramatischere Beleuchtung erzeugen kann.

Welche Rückmeldungen oder Reaktionen auf das Set-Design und die Verwendung von Tapeten in „Das Damengambit“ haben Sie erhalten?

Das war einfach unglaublich, so eine Reaktion hatten wir noch nie! Für unsere Arbeit an „Das Damengambit“ haben wir den Art Directors Guild Award, den SDSA (Set Decorator Association of America) Award und einen Emmy gewonnen. Das war natürlich eine einzigartige Erfahrung, und es ist einfach großartig, dass unsere Arbeit solche Anerkennung erfährt. Das Lustige daran ist, dass wir, wie mein Chef Uli Hanisch einmal sagte, an dieses Projekt herangegangen sind, wie wir es immer tun: mit Liebe zum Detail und dem Wunsch nach ungewöhnlichen, verrückten Kombinationen.

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© Netflix

Haben Sie in den letzten Jahren bestimmte Trends oder Änderungen der Publikumserwartungen in Bezug auf Set-Design und Innenraumästhetik festgestellt?

Ich glaube schon, dass die Erwartungen des Publikums gestiegen sind. Heutzutage hat niemand mehr Lust auf minimale Sets, denen man ansieht, dass sie im Studio gebaut wurden. Wenn das Set-Design, die Kostüme und das Make-up sich gegenseitig ergänzen und mit der Geschichte verwoben sind, dann kann man das Publikum auf eine großartige Reise mitnehmen.

Was macht aus Ihrer Sicht Tapeten zu einem so wirkungsvollen Mittel der visuellen Erzählung im Fernsehen?

Eine Tapete kann eine Menge Informationen preisgeben: Sie kann schon viele Jahre, bevor unsere Geschichte spielt, an der Wand gehangen haben, sie kann dem Zuschauer verraten, ob die Menschen, die dort leben, reich oder arm sind, ob der Raum bewohnt oder verlassen ist. Sie kann verschimmelt und zerfleddert an der Wand hängen, oder in einem luxuriösen Ambiente mit einer prächtigen Wandbeleuchtung betont werden. Apropos: Die Wandbeleuchtung ist die beste Art, eine Tapete in Szene zu setzen, denn sie schafft Lichtinseln, die in Kombination mit den unbeleuchteten Bereichen einen spannenden Hintergrund für die Protagonisten des Films bilden.

Gibt es bereits zukünftige Projekte, bei denen Sie mithilfe von Tapeten neue Möglichkeiten im Set-Design entwickeln möchten?

Auf jeden Fall. Wir werden höchstwahrscheinlich im Spätsommer mit der 5. Staffel von Babylon Berlin beginnen und Tapeten werden dort weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

Wenn Sie mehr über die Bedeutung der Tapeten im Publikumshit „Das Damengambit“ erfahren und herausfinden möchten, wie Sie den kultigen Look in Ihrem eigenen Zuhause nachbilden können, lesen Sie unseren ausführlichen Artikel: Eine visuelle Reise durch die Tapeten in „Das Damengambit“.